Bericht von einer Holland-Deutschland Servas Reise

** von Renee **
Was für eine wunderschöne Tour! Acht Wochen in den Niederlanden und zwei in Nordrhein-Westphalen, alles nur mit Servas Gastgebern! Ich hatte tolles Wetter, passable Gesundheit, unendliche Neugier und eine Museumskarte gültig für alle Museen in den Niederlanden, wobei ich tolle Gemälde bzw. Holz- und Elfenbein Schnitzerei bewundert habe, Glückspilz ich!

Man kann ein panzerartiges Fahrrad ohne Gänge in den Bahnhöfen mieten, aber wehe dem, der einen Helm trägt! Er wird kopfschüttelnd als bangen Ausländer ausgelacht! Was für ein Fahrradland sind die Niederlande, wo der uns übliche Autokrach fehlt und die Garagen tausende Räder beherbergen, nicht Autos! Überall sind klar gekennzeichnete Fahrradwege. Zur Zeit zumindest — der Schweiz ungleich — fahren noch wenige Holländer E-Fahrräder. E-Scooter habe ich keine erblickt.

In Den Haag waren bei der weltweiten Klimastreik mit mir und einigen meiner Gastgeber um die dreisig Tausend Demonstierende. Ich habe das Klima (mein Lieblingsthema) mit allen Gastgebern angesprochen. Da die Holländer seit eh und je gewöhnt sind mit dem Meer zu kämpfen, blicken sie das steigende Meer erstaunlich entspannt an und machen sogar Witze drüber, wie, zum Beispiel, das bald wird Arnheim (eine Stadt weit vom Meer, dicht bei der deutschen Grenze oberhalb Essen) „Arnhem aan Zee,“ also, „Arnheim am Meer“ heissen! Die Regierung hat neulich das Auffördern vom Erdgas gestoppt und verlangt ab jetzt, dass alle Haushalte für Heizung und Kochen nach und nach auf Elektro umsteigen. Man erblickt keine neuartige Windmühle aber die sind da, zuhauf, vor der Küste, im Meer, ausser Sichtweite.

Es war spannend meine sieben deutsche Gastgeber und fünfzehn niederländische gegeneinander zu stellen, kulturel gesehen. Ich erlebte die Deutsche als dynamisch, ehrgeizig, großzügig, leistungsorientiert. Die Holländer, dagegen erlebte ich als gelassen, solidär, bescheiden und grundsätzlich glücklich. Man kann die Niederlande nicht verstehen ohne sich mit was die Höllender nennen Gezelligheit beschäftigen. Dieses Volk musste immer zusammenhalten um Erfolg bei der Zähmung des Meers zu gelingen und daraufhin ist es ein durch die Bank soziales Volk, menschenbezogen, höflich, rücksichtsvoll. Meine deutsche Gastgeber haben diese Seite des holländischen Charakters als eher negativ erlebt, da die sich auf deren Hollandreisen als eingehemmt, gemobbt und deswegen unfrei gefühlt.

Viele Niederlander scheinen den Deutschen immer noch misstrauisch; die Bombardierung von Rotterdam in 1940 und der Hungerwinter von 1944 haben tiefe Einschnitte in dem kollektiven holländischen Charakter hinterlassen.

Viele Häuser/Wohnungen in Holland fand ich winzig, echte Puppenhäuser, obwohl die sind die höchsten der Welt. Deutsche Häuser dagegen schienen geraumig und dafür proppenvoll mit Kram. Auch schienen die Holländer kälteresistenter als die Deutsche, überhaupt schienen mir die Niederlander ein abgehärtetes Völkchen zu sein. Bei denen hatte ich den Eindruck, das Komfort keine allzu grosse Rolle spielt, da Heizung nicht allzufrüh in Herbst angemacht wird, also bring warme Kleidung wenn ihr die Niederlande besucht, nicht für unterwegs eher für in den Häusern!

Ich war überrascht meine eher grosser Schuh- und Kleidungsgröße in den riesigen Gebrauchtwarenläden kinderleicht zu finden. Daher habe ich mehrere dicke Pakete nach Hause gesandt und denke, ich habe mein grösseres Leib für die nächsten Jahren weidlich ausgestattet!

In Holland wird kaum noch mit Bar bezahlt. Überall, sogar in einigen Supermärkten, muss man „pinnen,“ d.h., mit Debit/Kreditkarte bezahlen. Auch in allen Öffis muss man eine Chipkarte anlegen, nirgends gehen Münze mehr. In mehreren Bezirken geht die Müllentsorgung sogar nur mit einem Chip in dem Mülleimer, der direkt mit einem Bankkonto verbunden ist. Am verrücktesten aber war, dass ich ein Bahnhofklo in Rotterdam nur dank meiner Debitkarte antreten durfte. Die Holländer scheinen sich um Datenschutz zu scheren.

Amsterdam — wie Barcelona und Venedig — ist ein Zoo überfüllt mit unzähligen Touristen. Dafür aber liegen schöner Wälder hie und da nah an den kleineren Ortschaften, sogar mit verblüffend imponierend grossgewachsenen Laubbäumen. Generall fand ich, trotz der argen Bevölkerungsdichte der Niederlande, viel leicht ereichbare Natur; das Land wirkt erstaunlich friedlich.

Selbstverständlich war der Käse besonders. Sogar das Brot in Holland heutzutagen kann man geniessen, im Gegensatz zu vor fünfzig Jahren aber nichts fand ich in Holland, das mit deutschem/österreichem Brot Konkurrenz machen konnte!

Aber was das Interessanteste und Heftigste an meinen Deutsch-Holländisch Vergleich und Verständnis beigetragen hat war ein Geschenk einer Gastgeberin in Soest bei Utrecht, nämlich ein Buch das sie auf Deutsch und Holländisch ausgegeben hat: Mama, es ist Krieg! Das Buch besteht aus vier-und-vierzig Interviews mit Holländern und Deutschen, die den zweiten Weltkrieg als Kinder miterlebt haben. Dieses Buch von Cecile Oranje empfehle ich sehnlichst:

          Mama, es ist Krieg! Kinderjahre und Jugend während des Zweiten Weltkrieges in Deutschland und den Niederlanden

Conferent Verlag 2017 ISBN: 9789491591105

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Eine Antwort zu Bericht von einer Holland-Deutschland Servas Reise

  1. Olga Wohlmuther sagt:

    Hallo,
    ich finde deinen Bericht/Vergleich Niederlande/Deutschland und deren Bewohner äußerst gelungen.
    Du hast es wirklich auf den Punkt gebracht und ich musste beim Lesen immer wieder voll lachen. Und ich weiß, wovon ich spreche: Ich selbst bin Österreicherin und seit einigen Jahren mit einem Niederländer zusammen – da finden sich auch einige Parallelen in deinen Beschreibungen zu meinen Beobachtungen 🙂
    Danke und liebe Grüße
    Olga

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